Springe direkt zum: Inhalt

Wissen

Die Arbeitswelt der Zukunft: 5 Szenarien zur „Mensch-Technik-Interaktion 2030“

Veröffentlicht am 15. Aug 2023

Wie wird sich die Einführung von KI auf die Arbeitswelt und die Beziehung zwischen Mensch und Technik zukünftig auswirken? Die Studie „Arbeiten mit Künstlicher Intelligenz – fünf Kurzszenarien zur „Mensch-Technik-Interaktion 2030" stellt Zukunftsbilder vor, die mögliche Entwicklungen zeigen.

Die Entwicklungen im Bereich Künstliche Intelligenz sind hoch dynamisch und haben jüngst auch durch die KI-Systeme der neusten Generation zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die gesellschaftliche Debatte über ihre Auswirkungen auf unsere Arbeit und unsere Gesellschaft wird kontrovers geführt. Viele sehen die zahlreichen Möglichkeiten und Chancen, andere sind eher verunsichert. Und doch stehen wir gerade erst am Anfang dieses grundlegenden Wandels, der die Arbeitswelt vermutlich ähnlich tiefgreifend verändern wird wie die industrielle Revolution. Viele Antworten auf die heute diskutierten Fragen liegen also noch in der Zukunft. Diese Zukunft ist offen, weil sie noch unbestimmt ist. Aber sie ist auch offen, weil sie gestaltet werden kann.

Deshalb beschäftigt sich auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) intensiv mit den Effekten des Einsatzes von KI auf die Arbeitswelt der Zukunft. In einer vertiefenden Studie hat das Institut für Innovation und Technik (iit) mit Hilfe von Techniken der Strategischen Vorausschau und unter Beteiligung von 33 Expert*innen aus Wissenschaft, Technikentwicklung, Unternehmen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft im Auftrag des BMAS Szenarien entwickelt, die fünf mögliche Zukunftsbilder für das Arbeiten mit KI im Jahr 2030 beschreiben.

Indem die Szenarien den Horizont möglicher KI-Zukünfte ausleuchten und aufzeigen, wie die Mensch-Technik-Interaktion in einer von intelligenten und lernenden Systemen geprägten Arbeitswelt künftig aussehen kann, liefern sie einen entscheidenden Beitrag für ein realistischeres Verständnis der in den kommenden Jahren zu erwartenden Veränderungen. Dieses Verständnis ist die Voraussetzung sowohl für eine konstruktive gesellschaftliche Debatte über KI als auch für die Entwicklung von Maßnahmen für eine aktive Gestaltung der Arbeitswelt der Zukunft.

Mögliche Auswirkungen von KI

Den Szenarien liegen relevante Schlüsselfaktoren zugrunde, aus deren unterschiedlichen Ausprägungen im Jahr 2030 verschiedene Zukunftsbilder abgeleitet werden. Die Auswahl und Kombination der Schlüsselfaktoren macht eine Analyse auf drei Ebenen möglich: (1) die Mensch-Maschine-Interaktionen am Arbeitsplatz und das direkte Arbeitsumfeld, (2) das Unternehmen als Organisationssystem, dessen Strukturen, Beziehungen und Kulturen sowie das (3) Innovationsökosystem, in das Unternehmen wie Beschäftigte eingebunden sind.

Szenario 1: Transformation

Im „Transformations“-Szenario wurde die Mensch-Maschine-Interaktion menschenzentriert umgesetzt und so ein Produktivitätssprung erreicht. Die Digitalisierung von Arbeits-, Produktions- und Geschäftsprozessen ist 2030 weitestgehend abgeschlossen. Nicht nur im Unternehmen, sondern in der gesamten Gesellschaft herrscht eine hohe KI-Kompetenz, die den digitalen Strukturwandel von Berufen und Tätigkeiten unterstützt. Eine Neuausrichtung der betrieblichen Weiterbildung ermöglicht die Qualifizierung für neue Aufgabenfelder, welche wegfallende Tätigkeiten kompensieren und die Arbeitsqualität der Beschäftigten erhöht. Unternehmen verstehen sich als transparente und dynamische Systeme, die im Verbund mit den Mitarbeitenden neue Führungskulturen etabliert haben und ihre Produktionsprozesse mithilfe lernfähiger KI-Systeme kontinuierlich weiterentwickeln.

Szenario 2: Automation 1.0

„Automation 1.0.“ beschreibt ein Szenario, in dem KI-Anwendungen lediglich zur Effizienzsteigerung eingesetzt werden. Während Wissensarbeiter*innen eine Entlastung von kognitiven Routinetätigkeiten erfahren und ihr kreatives Potenzial zunehmend ausschöpfen können, müssen sich Facharbeitende technikdominierten Arbeitsabläufen unterordnen. Eine Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten und Handlungsspielräume durch eine gleichberechtigte Interaktion mit intelligenten Systemen findet nicht statt. Diese Entwicklung wird durch eine konservative Unternehmens- und Führungskultur unterstützt, die Innovationsprozesse nur vereinzelt kollaborativ aushandelt. Eine Einbettung in eine übergreifende, gemeinwohlorientierte Bildungslandschaft zur Förderung digitaler Kompetenzen ist nicht gegeben. Stattdessen verfolgen hierarchisch organisierte, einflussreiche Technologieunternehmen durch die Implementierung automatisierter Produktionsprozesse vor allem wirtschaftliche Ziele.

Szenario 3: Industrie 4.0.

Eine Arbeitswelt, in der sich produzierendes Gewerbe und Service-Wertschöpfung einander angenähert haben und Arbeitsprozesse miteinander verknüpft sind, beschreibt das Szenario „Industrie 4.0.“. Digitale Prozesse wurden darin mit dem Ziel der Rationalisierung in komplexe Wertschöpfungsketten integriert und ein Großteil manueller Tätigkeiten schrittweise durch KI-Systeme ersetzt. Gleichzeitig verändert sich die Unternehmenskultur nur langsam hin zu einem modernen Führungsverständnis. Diese Entwicklungen haben die gesellschaftliche Polarisierung bezüglich der digitalen Transformation verstärkt. Spannungsverhältnisse entstehen einerseits zwischen Wissensarbeiter*innen, die von Routinetätigkeiten entlastet werden, sowie Teilen der Facharbeiter*innen und Hilfsarbeitenden, die aufgrund gescheiterter Umschulungsbemühungen beschäftigungsunfähig werden. Andererseits können viele KMUs im Gegensatz zu Großunternehmen nicht mit den umfassenden Digitalisierungsprozessen Schritt halten und trotz großer staatlicher Förderung die notwendigen Transformationsschritte nur verzögert umsetzen.

Szenario 4: Plattformökonomie

Im Szenario „Plattformökonomie“ werden Wertschöpfungsprozesse von großen internationalen Plattformanbietern dominiert. Auf Grundlage großer, kundenorientierter Datenmengen steuern diese die Entwicklung und Einführung von KI-Systemen für eine Vielzahl von einzelnen, agil geführten Unternehmen. Angestellte sind in unternehmensübergreifende Arbeitsprozesse eingebunden und somit direkt von technischen Entscheidungen der Plattformanbietenden betroffen. Dadurch vergrößert sich der Abstand zwischen Beschäftigten und der Entscheidungsebene, womit Potenziale zu einer stärkeren Menschenzentrierung in der KI-Entwicklung ungenutzt bleiben. Obwohl die digitale Transformation auf breiter gesellschaftlicher Akzeptanz fußt, bleibt die konkrete Ausgestaltung der KI-Anwendungen kleinen und hoch spezialisierten Expert*innencommunitys überlassen. Eine Vielzahl der Beschäftigten erfährt durch Automatisierungsprozesse eine Erhöhung ihrer Arbeitsqualität, steht aber auch unter kontinuierlichem Anpassungsdruck bezüglich der in ihren Berufen gefragten, sich verändernden Qualifikationen.

Szenario 5: Ambivalenz

In der fünften Entwicklungsoption – dem „Ambivalenz“-Szenario – trifft eine fortschreitende Automatisierung auf eine fehlende Innovationskultur. Aufgrund einer unzureichenden gesellschaftlichen Zielvision für die Entwicklung und den Einsatz von KI und einem weiterhin dominierenden traditionellen Führungsstil innerhalb der Unternehmen können die technisch vorhandenen Potenziale für die Nutzung menschenzentrierter KI-Technologien nicht genutzt werden. Obwohl sich Organisationsstrukturen durch die Digitalisierung deutlich gewandelt haben und offener geworden sind, bleibt die digitale Kompetenz Expert*innen in Innovationscommunitys vorbehalten. Die Arbeitsqualität wird für die Mehrheit der Arbeitnehmer*innen aufgrund der Entlastung von Routinetätigkeiten zwar gesteigert und die Nutzung von KI-Anwendung bewegt sich in einem politisch festgesteckten Ordnungsrahmen. Eine gesellschaftlich übergreifende Debatte zur Entwicklung von humanzentrierter KI, die auch die Kreativwirtschaft, Nutzer*innen und die Zivilgesellschaft miteinbezieht, findet jedoch nicht statt.

Gesellschaftliche Handlungsperspektiven

Die Mehrheit der an der Publikation beteiligten Expert*innen bewertet das Ambivalenz-Szenario als die wahrscheinlichste Entwicklung, präferiert jedoch klar die Realisierung des Transformationsszenarios. Hierfür haben die Expert*innen fünf gesellschaftliche Handlungsperspektiven als Impulse für die weiterführende Diskussion identifiziert: Um die Potenziale intelligenter Systeme nicht zu verschenken, ist es erstens wichtig, KI-Anwendungen partizipativ und an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientiert zu entwickeln, damit diese die neuen Technologien souverän und selbstbestimmt nutzen können. So kann zudem ihr Erfahrungswissen zur Optimierung der Systeme genutzt werden. Von entscheidender Bedeutung ist zweitens ein massiver Aufbau digitaler Kompetenzen in der Gesellschaft. Drittens bedarf es einer Neuorientierung unternehmerischen Handelns, das eine menschenzentrierten Technikgestaltung als gleichberechtigtes Ziel neben betriebswirtschaftlicher Optimierung betrachtet. Damit werden nicht nur die sozialen, sondern auch die wirtschaftlichen Potenziale von KI-Systemen besser ausgeschöpft, etwa weil dies zur nachhaltigen Einführung von KI-Systemen beiträgt und die Resilienz von Unternehmen stärkt. Eine zentrale Rolle spielt viertens die Überwindung bisheriger Barrieren, zum Beispiel im Hinblick auf einen offenen Zugang zu Daten, eine ressortübergreifende politische Steuerung und die Entwicklung von Standards unter Berücksichtigung aller relevanten Stakeholder. Fünftens komme es auch auf einen verbindlichen Rechtsrahmen sowie die Vermittlung beruflicher Perspektiven und die soziale Absicherung bei Jobübergängen an.

Robert Peters, Klaus Burmeister, Wenke Apt

Arbeiten mit Künstlicher Intelligenz – fünf Kurzszenarien zur „Mensch-Technik-Interaktion 2030“

Download als PDF